WIRTSCHAFT und WETTBEWERB
Räuberische Aktionärsklagen oder effektive Kartellrechtsdurchsetzung?

Räuberische Aktionärsklagen oder effektive Kartellrechtsdurchsetzung?

Prof. Dr. Florian Bien, Würzburg/Paris

Die Frage nach der optimalen Sanktion für Kartellverstöße ist alt. Im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen immer noch die Unternehmen, nicht die handelnden natürlichen Personen. Eine gewisse praktische Bedeutung erlangt in letzter Zeit die zivilrechtliche Verantwortlichkeit von Managern. Unlängst hat sich das OLG Düsseldorf zur Außenhaftung von Geschäftsführern geäußert. Sie seien Kartellopfern gegenüber persönlich zum Schadensersatz verpflichtet (WuW DE-R 4117, 4127 – Dornbracht). Trotz ARAG/Garmenbeck noch wenig entwickelt ist der Innenregress (siehe schon Möschel, WuW 2007, 483, 491). Nur ganz vereinzelt lassen Unternehmen sich Geldbußen und Schadensersatzleistungen an Dritte von den verantwortlichen Managern erstatten. Häufig bestehen personelle, teilweise auch familiäre Verbindungen etwa zwischen Aufsichtsrat und AG-Vorstand. Überwachungsdefizite sollen verdeckt bleiben. Eine wirksame Rechtsdurchsetzung bleibt in vielen Fällen aus. Im Detail sind auch viele Fragen noch offen: Anwendbarkeit der Vorteilsausgleichung? Haftungsbeschränkung entsprechend § 81 Abs. 4 GWB? (so überzeugend das ArbG Essen, WuW/E DE-R 4304; noch weitergehend das LAG Düsseldorf, 20.1.2015, 16 Sa 459/14Thyssen).

Bislang gänzlich bedeutungslos sind hierzulande Aktionärsklagen wegen Kartellverstößen. Anschauungsmaterial bietet eine vor dem U.S. District Court for the Western District of Washington in Seattle anhängige derivative suit. Hintergrund ist die von der Europäischen Kommission im Dezember 2013 gegen Microsoft verhängte Geldbuße i. H. v. 561 Millionen Euro (WuW 2013, 371). Zur Erinnerung: Microsoft hatte gegen die von der Kommission für verbindlich erklärten Verpflichtungszusagen im Fall „Internet Explorer“ (WuW/E EU-V 1499) verstoßen. Zwischen Mai 2011 und Juli 2012 hatte es sein Betriebssystem Windows 7 an mindestens 15 Millionen europäische Verbraucher ohne den obligatorischen Browser Choice Screen ausgeliefert. Microsofts Board of Directors entschied sich gegen ein gerichtliches Vorgehen gegen die möglicherweise verantwortlichen Manager. Daraufhin erhob eine Gruppe von Aktionären im Namen der Microsoft Corp. Klage. Sie richtet sich gegen verschiedene aktuelle und ehemalige Manager und Mitglieder des Boards, darunter der ex-CEO Steve Ballmer und Gründer Bill Gates. Nach Darstellung der Kläger haben die beklagten Manager vorsätzlich gegen die Verpflichtungszusagen verstoßen. Die interne Aufarbeitung des Falls sei unzureichend. Weder der Wettbewerbskommissar Almunia noch sonstige externe Zeugen seien gehört worden. Im US-amerikanischen Gesellschaftsrecht herrscht traditionell ein weites Verständnis der business judgment rule. Entsprechend streng zeigt die Rechtsprechung sich gegenüber solchen Klagen. Dennoch hat Judge Coughenour die Klage am 10.12.2014 für zulässig erklärt und den gegenläufigen Antrag von Microsoft abgewiesen (Kim Barovic et al. v. Steven A. Ballmer et al., NO. C14-0540-JCC, U.S. Dist. Ct, W.D. Washington). Das kommt einer kleinen Sensation gleich. Der Ausgang des Verfahrens ist noch gänzlich offen. Möglicherweise schließen die Parteien einen Vergleich. Nicht auszuschließen ist, dass er letztlich vom Unternehmen bezahlt wird. Ergebnis wäre eine Umverteilung auf der Ebene der Aktionäre. Mit Wettbewerbsschutz hätte das wenig zu tun. Trotzdem sollte man Aktionärsklagen im Bereich des Kartellrechts nicht gleich als Teufelszeug einer kleinen Zahl gewiefter Geschäftsleute verdammen. Die Klagen richten den Blick auf die eigentlich verantwortlichen, weil handelnden Personen.